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Der brasilianische Österreicher - Jean Andrioli im Exklusivinterview

Aktualisiert: 9. Dez. 2019

Jean „Jeansi“ Andrioli – wenn man diesen Namen in der Faustballwelt nicht kennt, kann man beinahe kein richtiger Faustballer sein. Doch da dieser Blog natürlich auch für Menschen ist, die das Wort Faustball das erste Mal in ihrem Leben hören, hier eine kurze Erklärung: Jean Andrioli ist der Hauptangreifer des österreichischen Faustballnationalteams. Manche fragen sich vielleicht nun woher dieser für uns eher exotisch klingende Name stammt – Andrioli kommt ursprünglich aus Brasilien. Wie lange er bereits in Österreich lebt, wie der Weg bis zum Nationalteamschläger verlief, was der Sport Faustball für ihn bedeutet und noch vieles mehr, erfahrt ihr in diesem exklusiven Interview.

Nationalteamkapitän Jean Andrioli © Stefan Gusenleitner

Hi Jeansi, könntest du dich einmal kurz vorstellen?

Hallo, ich heiße Jean Andrioli. Ich komme ursprünglich aus Brasilien, bin 34 Jahre alt und bin Lehrer in Freistadt.


Wie lange lebst du bereits in Österreich?

Ich lebe mittlerweile schon ganze 11 Jahre in Österreich.


Wie lange spielst du schon Faustball?

Ich spiele Faustball schon seit ich 12 Jahre alt bin. Ich bin jetzt 34, also sind das jetzt schon 22 Jahre.


Wie bist du zum Faustballspielen gekommen?

Also das war so, meine Großeltern haben in einem Wohnblock gewohnt beziehungsweise wohnen sie immer noch dort. Neben dem Wohnhaus war ein deutscher Verein, wo ein älterer Herr immer ein Training veranstaltet hat. Dadurch haben dann eigentlich alle Kinder aus der Umgebung das Faustballspielen kennengelernt. Dazwischen haben wir auch viel Fußball gespielt. Aber eigentlich haben wir einfach immer mitgespielt.


Gibt es Unterschiede zwischen dem Österreichischen und Brasilianischen Faustball, wenn ja welche?

Ein Unterschied zwischen Brasilien und Österreich ist glaube ich, dass die Österreicher oft einen besseren Plan haben. Dafür sind sie aber nicht so flexibel. Damit meine ich einfach, dass die Brasilianer schneller auf Probleme reagieren können und immer spontan einen Plan B aus dem Hut zaubern. Die Österreicher hingegen haben einen super Plan A, sind aber nicht so flexibel, wenn dann etwas nicht so läuft wie geplant. Noch ein Unterschied ist das Finanzielle. In Brasilien muss man alles selber machen und auch bezahlen. So lange Reisen für Trainings und Weltmeisterschaften kosten nicht wenig Geld. In Österreich geht es uns da extrem gut mit einem Verband, der sogar das Kilometergeld bezahlt. Wir haben auch zum Beispiel immer super Hotels, das ist wirklich ein großer Unterschied zwischen Österreich und Brasilien!

Natürlich gibt es auch persönliche Unterschiede. Die Brasilianer sind viel emotionalere Spieler, wohingegen die Österreicher ruhiger sind.


In welchen Vereinen hast du bereits gespielt und in welchem spielst du aktuell; welche Erfahrungen hast du dort gemacht?

Ich habe mittlerweile schon in fünf verschiedenen Vereinen gespielt. In Concórdia hab‘ ich angefangen mit meinen Jungs. Das war ein ganz kleiner Verein mit sehr vielen guten jungen Spielern, weil es in der Umgebung nicht wirklich reiche Vereine gegeben hat. Mit 18 bin ich dann nach São Bento do Sul gegangen und hab' zu Condor gewechselt, weil ich dort die Möglichkeit hatte ein bisschen Geld zu verdienen, um mein Studium zu finanzieren. Dort hab‘ ich, glaube ich drei Jahre gespielt. Das war echt eine coole Mannschaft mit lauter routinierten Spielern. Wir haben echt ein paar coole Sachen gewonnen!

Dann bin ich nach Österreich gekommen und war kurz für sechs Monate beim FBC ASKÖ Linz Urfahr. Da sind wir Feldmeister geworden und haben gegen Freistadt gewonnen. Danach bin ich aber wieder nach Brasilien zurückgegangen, weil ich mein Studium fertig machen musste und habe wieder bei Condor gespielt. Nachdem ich mit dem Studieren fertig war, bin ich wieder zurück nach Österreich gekommen und hab‘ wieder bei Urfahr gespielt, also nur ein Monat lang. Dort hat es leider mit der Arbeit, Visum und Geld nicht ganz geklappt und so hab‘ ich dann die Sportunion Freistadt angerufen. Das hat alles eigentlich nicht lange gedauert und sie haben mich gleich unterstützt und das Problem mit dem Visum war auch sofort erledigt. Und ja, seitdem bin ich in Freistadt. Mit Freistadt bin ich auch gleich wieder Meister geworden, diesmal haben wir dann gegen Urfahr gewonnen (lacht). Das war etwas ganz besonderes für mich! Und dann haben wir eine super Serie gehabt, wir haben den Europacup dreimal gewonnen und sind Weltpokalsieger geworden. Insgesamt sind wir auch viermal Staatsmeister geworden, zweimal in der Halle und zweimal am Feld.


Du hast ja die Österreichische Staatsbürgerschaft – ist es für dich nicht seltsam gegen das brasilianische Nationalteam zu spielen? Wie zum Beispiel heuer bei der WM in Winterthur, wo ihr um den Einzug ins Finale gegeneinander gespielt habt und sogar dein Bruder gegen dich gespielt hat.

Ja, wie ist das so gegen Brasilien zu spielen...(lacht). Es ist natürlich besonders und mein jüngster Bruder und ich haben das eigentlich alle zwei Jahre, dass wir entweder bei den World Games oder bei einer Weltmeisterschaft gegeneinander spielen. Aber die Jungs, die aktuell spielen, die haben damit überhaupt kein Problem. Sie wissen, dass dieser Nationen-Wechsel für mich eine der größten Chancen meines Lebens war. Und sicher gibt es Rivalität und wenn das Spiel beginnt, will jeder gewinnen – egal, ob du ein rotes oder ein gelbes Trikot anhast. Aber das ist überhaupt kein Problem, es will halt einfach jeder gewinnen.   Manchmal ist es bei meinem kleinen Bruder, bei Jayme um Geld gegangen. In Brasilien bekommt man vom Land für die ersten drei Plätze nämlich Geld. Da war zum Beispiel dieses eine Mal in Argentinien, wo Österreich gegen Brasilien um die Bronzemedaille gespielt hat. Da haben wir gewonnen und für mich war’s „nur“ eine Medaille, aber für ihn waren es ein paar tausend Real, die verloren gingen...das hat mir schon ein bisschen wehgetan, weil ich weiß, dass er es gebraucht hätte. Aber im Grunde gibt’s da nichts, das ist halt dann so. Das war auch die letzten drei oder vier Jahre so, dass wir immer um Bronze gegen Brasilien gespielt haben. Heuer bei der WM war es im Halbfinale, aber wir haben Gott sei Dank jedes Mal gewonnen (lacht).

Aber generell möchte ich noch sagen, dass ich mich wirklich nicht beschweren kann. Ich arbeite nicht als Faustballprofi, ich hab‘ nie Geld fürs Faustballspielen selbst bekommen. Das wichtigste ist einfach die Freundschaft, Faustball hat mir in meinem Leben sehr viele Türen geöffnet, dafür bin ich unendlich dankbar.


Mit dem Faustballspielen verdient man ja im Gegensatz zum Fußball kein Geld. Wie stehst du dazu?

Das ist schon ein bisschen unfair, dass öfters die Fußballer, obwohl sie in der letzten Liga spielen eine Menge Geld bekommen. Das könnte schon ein bisschen besser aufgeteilt werden. Aber der Unterschied ist, dass Fußball einfach ein Markt ist. Die verkaufen Produkte und Spieler, da kommen auch mehr Zuschauer. Aber ich bin mir sicher, wenn man etwas mehr Geld in Faustball stecken würde, dann gäbe es auf der einen Seite mehr Profis und auf der anderen Seite mehr Zeit zum Trainieren. Da hätten wir sicher ein noch höheres Niveau und der Sport würde noch attraktiver werden. Und automatisch ist dann auch, dass mehr Leute zuschauen, dass es mehr Sponsoren gibt, dass mehr Geld zirkuliert. So funktioniert zum Beispiel auch Volleyball, dann hat man einen Markt. Solange die Spieler einfach nur neben dem normalen Berufsleben trainieren, kann das Niveau nicht ganz so hoch sein und werden.


Zum Schluss noch eine etwas emotionalere Frage: Was bedeutet Faustball für dich persönlich? Gibt es bestimmte Momente, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind, wenn ja welche?

Faustball hat definitiv mein Leben komplett verändert. Durch Faustball wohne ich in Europa, hab einen guten Job und eine Familie. Mir geht’s so gut hier und ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn ich noch in Brasilien leben würde oder generell ohne Faustball leben würde. Ich weiß nicht, welche Berufsrichtung ich sonst eingeschlagen hätte (lacht). Ich bin so dankbar für alle Faustball-Freundschaften und für die Vereine, wo ich spielen konnte und durfte. Natürlich hab’ ich auch immer meine Leistung erbracht und alle Vereine hoch anerkannt.

So spezielle Momente gibt es wirklich sehr, sehr viele. Nicht nur von besonderen Titeln, sondern einfach auch von Ausflügen, wo ich gemeinsam mit meinen Teams unterwegs war. Aber ein besonderer Moment war sicher der Weltpokalsieg in Freistadt oder der Doppelstaatsmeister mit Urfahr und auch wo ich dann mit Freistadt gegen Urfahr gewonnen habe. Das war sowieso ein irres Jahr, da hab‘ ich auch noch die World Games in Taiwan gewonnen. Das war eine Saison, in der ich alles gewonnen habe, das war wirklich ein Höhepunkt meines Lebens! Auch alle Turniere in der Schweiz, das war ganz cool, das war mein bestes Jahr glaube ich.


© Erwin Pils


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